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Liebeserklärung an die Vielfalt - eine Weihnachtsbotschaft

In den letzten Wochen haben Menschen in Dresden und anderswo Angst, Kälte, Kleinmut, Rassimus, Is­la­mo­pho­bie und Frem­den­feind­lich­keit auf die Straße getragen. Wir sind nicht nur ver­un­si­chert, sondern sehen das friedliche Zu­sam­men­le­ben in diesem Land er­schüt­tert. Was wir in Dresden sehen, sind nicht die üblichen Nazis, aber Menschen, die letztlich die gleiche men­schen­ver­ach­ten­de Ideologie verbreiten.

Doch unser Land sieht anders aus.

Wir leben schon heute Vielfalt.

Wir finden es normal, dass der mar­ro­ka­ni­sche Schwager mit uns Weih­nach­ten feiert. Und es dann kein Schwei­ne­fleisch zu Essen gibt. Wir haben Freun­din­nen und Freunde aus Russland, Usbekistan, Mali, Österreich und Tunesien. Wir lernen von anderen und merken, dass andere von uns lernen. Das ist Zu­sam­men­le­ben, auch wenn wir manchmal Dinge nicht verstehen. Wir in­ter­es­sie­ren uns für andere Kulturen, Religionen und Ansichten und werden niemanden eine Kultur über­stül­pen.

Wir gehen mit mus­li­mi­schen Bosniern und Iranern und ihren Kindern zusammen auf den Mar­tins­um­zug, weil uns allen das Teilen und das Ritual mit den Laternen so gut gefällt. Wir sind gerührt, wenn die 5-jährige Nichte sagt, dass sie in weniger Ländern Aus­län­de­rin sei als eine Deutsche, weil sie nämlich zwei Pässe habe.

Wir trinken au­gen­zwin­kernd mit Moslems guten Wein und lachen zusammen. Wir trinken Tee beim Opferfest und erkennen, dass Nächs­ten­lie­be nicht nur beim christ­li­chen Weih­nachts­fest seinen Platz hat und Alkohol trinken nicht zwingend für Ge­sel­lig­keit nötig ist.

Wir sind neugierig, was der russische Oberst, den wir ken­nen­ler­nen, zu erzählen hat. Wir sehen Begegnung als Be­rei­che­rung des Lebens. Sie eröffnet Per­spek­ti­ven, die wir davor noch gar nicht erahnen konnten. Wir lachen ver­schmitzt mit der häkelnden türkischen Oma in der U-Bahn über eine skurille Situation. Und freuen uns über ihr Gesicht, das wir noch Jahre später vor Augen haben. Uns werden täglich die Augen geöffnet von der Vielfalt, die auf uns ein­pras­selt.

Wir lernen Sprachen in der Schule und können uns damit auf der ganzen Welt ver­stän­di­gen. Wir haben keine Angst, wenn Kinder aus aller Herren und Frauen Länder mit unseren Kindern in den Kin­der­gar­ten und die Schule gehen. Weil unsere Kinder so von klein auf in­ter­kul­tu­rell lernen. Weil für sie Vielfalt normaler sein wird als für uns.

Wir sehen wie liebevoll eine Bulgarin unsere Großeltern pflegt, wie fair der pa­kis­ta­ni­sche Junge in der E-Jugend Fußball spielt. Wir erinnern uns an den Geschmack von Kardamom, der in einem Tee war, der uns angeboten wurde.

Wir sind nicht stolz auf den Ausgang der Ge­burts­lot­te­rie, die den einen zum Deutschen und die andere zur Bo­li­via­ne­rin macht. Wir leben und lieben in bi­na­tio­na­len Be­zie­hun­gen und Ehen. Wir ziehen unsere Kinder zwei­spra­chig auf, damit sie mit ihren Großeltern im Ausland reden können.

Wir sehen den Austausch der Kulturen als Be­rei­che­rung unseres Lebens, egal ob wir dabei por­tu­gie­si­schen Weichkäse oder iranische Heavy Metal Bands ken­nen­ler­nen. Wir lachen über den serbischen Film, nord­ame­ri­ka­ni­sche Serien und Kar­ne­vals­bräu­che in Ecuador.

Wir übernehmen Wörter aus anderen Ländern in unseren Sprach­schatz, weil wir Dinge so besser ausdrücken können. Wir übernehmen Feste und Bräuche und stellen auf einmal aus­ge­höhl­te Kürbisse ins Fenster. Wir sind überzeugt davon, dass Kulturen und Sprachen erst dadurch leben, dass sie sich vermengen, vermischen, bereichern und befruchten.

Wir wollen in einem Land leben, das Menschen auf der Flucht offensteht. Wir leben in einem Ein­wan­de­rungs­land und wir wollen eine Will­kom­mens­kul­tur anstatt die Mauern um Europa zu vergrößern. Wir sind entsetzt darüber, dass so viele Menschen an den Au­ßen­gren­zen sterben. Wir verstehen, dass Menschen fliehen, egal aus welchem Grund. Wir wollen Flüch­ten­den ein neues Zuhause geben und die Mög­lich­keit, frei und in Würde zu leben. Ohne uns dabei auf die Schulter zu klopfen.

Wir sind überzeugt, dass wir zusammen den richtigen Weg finden können, der allen Teilen der Ge­sell­schaft Rechnung trägt. Diese Aus­ein­der­set­zung wird nicht immer einfach sein, sondern manchmal auch von Konflikten geprägt. Diese Konflikte wollen wir kon­struk­tiv, friedlich und mit Respekt austragen und verhandeln. Dabei ist Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund für uns ein Zeichen der Stärke und Le­ben­dig­keit der Ge­sell­schaft.

In unserem Land ist es egal, welches Geschlecht jemand hat oder sich selbst zuschreibt. Es ist egal, wer wen ein­ver­nehm­lich liebt. In unserem Land sind alle Menschen gleich. In unserem Land wollen wir sozial gerecht zusammen leben und gemeinsam die richtigen Fragen für die Zukunft stellen. Wir werden diejenigen politisch her­aus­for­dern, die soziale Spaltung vor­an­trei­ben oder Um­ver­tei­lung verhindern. Wir wollen gelebte So­li­da­ri­tät, Mitgefühl und Empathie statt sozialer Kälte, Egoismus und deutschen Volks­ge­nos­sen.

Zu­sam­men­le­ben und Austausch von Kulturen heißt für uns nicht Aufgabe von Werten, Ethik und Idealen. Vielmehr sehen wir, dass es Werte gibt, die in jeder Kultur zuhause sind. Auf ihnen bauen wir auf. Eine viel­fäl­ti­ge Ge­sell­schaft ist nicht einfach: Wir dis­ku­tie­ren hart in der Sache, wenn uns etwas nicht passt, aber wir finden gemeinsam Grenzen und Leit­plan­ken des Zu­sam­men­le­bens.

Wir stehen an der Seite aller Menschen in diesem Land, die friedlich und re­spekt­voll mit­ein­an­der leben wollen. Egal wo sie herkommen oder welche Religion sie haben. Egal ob sie eine andere Sprache sprechen oder andere Sitten und Gebräuche haben.

Wir wollen einfach zusammen leben. Wir wissen auch, dass viele der Ideale noch nicht umgesetzt sind.

Das heißt für uns:

Wir werden hass­er­füll­ten Angsthasen, Rassisten und Frem­den­fein­den dieses Land nicht überlassen, sondern an einer offenen und viel­fäl­ti­gen Ge­sell­schaft wei­ter­ar­bei­ten. Was wir in Dresden und anderswo sehen ist nicht die Mitte der Ge­sell­schaft, sondern De­ckungs­mas­se von Nazis und Brand­stif­tern. Sie stellen nicht die richtigen Fragen, sondern treten nach unten. Sie sind diejenigen, die einer toleranten und freien Ge­sell­schaft und Kultur im Wege stehen.

Wir danken deshalb all den Menschen, deren Ur-Großeltern, Großeltern, Eltern oder die selbst aus einem anderen Land hierher gekommen sind von ganzem Herzen, dass sie hier sind. Wir danken ihnen, dass wir Neues ken­nen­ler­nen dürfen. Wir danken ihnen, dass wir immer wieder neu über uns nachdenken. Wir danken ihnen für eine ständige Neu­s­aus­rich­tung von dem, was wir unsere gewachsene Kultur nennen.

Zukunft geht nur zusammen.


Verbreitet die Lie­bes­er­klä­rung an die Vielfalt. Sie soll überall auftauchen, an ihr soll kein Weg vor­bei­füh­ren. Bloggt diese Weih­nachts­bot­schaft, postet sie auf Facebook, fo­to­gra­fiert sie für Instagram, verlinkt sie, twittert sie, leitet sie weiter, schickt sie per Mail, vertont sie, macht Videos, druckt sie aus, hängt sie auf, plakatiert. Macht eine Lawine daraus, eine frohe Botschaft der Mensch­lich­keit, eine Lie­bes­er­klä­rung an die Vielfalt, einen Appell für das friedliche Zu­sam­men­le­ben. Und dann geht auf die Straße und de­mons­triert. Wir sind viel mehr als wir denken.


Ur­sprüng­lich von hedonist in­ter­na­tio­nal. frosch machte mich darauf aufmerksam. Danke frosch!

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