bullshit

Ich male mir die Welt

Im Moment habe ich den Eindruck, dass pro­gres­si­ve Menschen – ich zähle mich dazu – zu viel auf rechte Pro­vo­ka­tio­nen und Ideen reagieren. Es ist wichtig, sich rechten Menschen und ihren Ideen ent­ge­gen­zu­stel­len und ihnen zu zeigen, dass ihre Ansichten nicht willkommen sind. Gleich­zei­tig habe ich den Eindruck, dass wir zu wenig kon­struk­tiv agieren, aber über jedes Stöckchen, das Rechte uns hinhalten, springen.

Auch Susanne von Li­te­ra­tur­schock twitterte etwas ähnliches:

Wie wäre es, wenn wir endlich mal agieren, anstatt immer zu reagieren? Lasst uns endlich die Initiative ergreifen und selbst Themen machen! https://t.co/VyYG2MXTQ7

— Li­te­ra­tur­schock (@li­te­ra­tur­schock, 18. September 2017

Wir müssen uns für Mensch­lich­keit recht­fer­ti­gen. Menschen müssen sich dafür recht­fer­ti­gen, dass sie andere Menschen vor dem Ertrinken bewahren. Eigentlich sollten sich Menschen für Un­mensch­lich­keit recht­fer­ti­gen und ver­ant­wor­ten müssen. Dafür, dass sie Menschen in den Tod schicken. Wir widerlegen Aussagen von Alice Weidel, während sie schon wieder die nächsten tätigt und Ängste und Vorurteile nutzt, um Wäh­ler_in­nen­stim­men zu bekommen.

Dieser Blogpost ist quasi eine Folge meiner Session vom dies­jäh­ri­gen Barcamp in Stuttgart. Dort stand folgende Frage zur Diskussion: In was für einer Welt wollen wir leben, wenn Fakten keine Rolle spielen? Und warum? Mit „Welt“ war „Welt“ im Sinne von „Ge­sell­schaf­t“ gemeint. Dass wir auf unseren blauen Planeten achten müssen, das versteht sich von selbst. Ohne Planet keine Ge­sell­schaft.

Auf dem Barcamp fand sich eine kleine, feine Runde zusammen, die darüber dis­ku­tier­te. Wir hatten leider mehr als einmal das Problem, dass wir nicht mehr über die ideale Welt dis­ku­tier­ten, sondern darüber, was heute schief läuft.

Auch wenn wir am Schluss genau dahin ab­ge­drif­tet sind, war es eine sehr in­ter­es­san­te Session. Ich möchte euch auf diesem Weg für die Teilnahme und den Austausch danken.

Im Folgenden möchte ich gerne umreißen, in was für einer Ge­sell­schaft ich gerne leben würde. Sie ist nicht perfekt, geschweige denn de­tail­liert, voll­stän­dig oder gar bis zum Schluss durchdacht. Vielmehr stellt dieser Blogpost den Versuch dar, einen Ge­gen­ent­wurf zu der Welt, wie Rechte/Kon­ser­va­ti­ve/... sie sich vorstellen, zu for­mu­lie­ren. Er ist keine Antwort und keine Anleitung, sondern vielmehr eine Sammlung loser Gedanken und Wünsche.

Es gibt wesentlich klügere Menschen als mich und ich würde mich freuen, wenn du dir ebenfalls Gedanken dazu machst, in was für einer Welt du leben möchtest. Schreibe doch einen eigenen Blogpost oder verfasse einen Kommentar.

Keine Grenzen

Grenzen gibt es generell zu viele. Manche sind räumlicher oder geo­gra­phi­scher Natur, andere mensch­li­cher. Einige sind sinnvoll, viele kon­stru­iert. Ich würde mir wünschen, dass wir zum Wohle aller daran arbeiten, Grenzen, die trennen, mit­ein­an­der zu überwinden.

Ich will in einer Welt leben, in der jeder Mensch leben kann, wo oder wie er_sie leben möchte. Niemand kann be­ein­flus­sen, wo er_sie geboren wurde, trotzdem wird er_sie heute dafür ver­ant­wort­lich gemacht.

Dort, wo du lebst, herrscht Krieg? Du sollst keine Angst haben müssen, mit deiner Familie dorthin zu gehen, wo Frieden herrscht. Du sollst keine Angst haben müssen, zurück in den Krieg geschickt zu werden. Dort, wo du lebst, herrschen Hunger oder Armut? Wenn dir keine_r hilft, sollte dich niemand daran hindern, dorthin zu gehen, wo es genug zu essen gibt. Du sollst keine Angst haben müssen, dorthin zurück geschickt zu werden, wo Armut oder Hunger herrschen. Dort, wo du lebst, gefällt es dir einfach nicht? Du sollst dahin gehen können, wo es dir mehr zusagt.

Ich will in einer Welt leben, in der auf Inklusion und Bar­rie­re­frei­heit geachtet wird und sie konsequent umgesetzt werden. Ich will in einer Welt leben, in der niemand dis­kri­mi­niert wird. In der jeder Mensch die gleichen Rechte genießt, unabhängig davon, wo oder wie er_sie lebt. Ich möchte in einer Welt leben, in der jeder Mensch alleine aufgrund der Tatsache, dass er_sie ein Mensch ist, Rechte genießt, die ihm_ihr nicht ab­ge­spro­chen werden können.

Ich will in einer Welt leben, in der Freiheit höher gehalten wird als Sicherheit. Gleich­zei­tig möchte ich in einer Welt leben, in der jede_r die Grenzen sei­nes_ih­res Gegenübers re­spek­tiert.

So­li­da­ri­tät und Mit­mensch­lich­keit

Wir müssen alle mehr mit­ein­an­der reden.

Ist alles okay, Alter, biste glücklich mit deinem Leben

— Veedle Kaztro, Mehr Glück als Verstand

Ich möchte in einer Welt leben, in der Menschen nicht nur die Grenzen der Mit­men­schen, sondern auch auf die Mit­men­schen achten. Mit ihnen reden. Nachfragen. Be­din­gungs­los Hilfe anbieten. Und dann be­din­gungs­los helfen.

Niemand sollte Angst haben müssen, nach Hilfe zu fragen. Niemand sollte sie einem Menschen verwehren können. Ich möchte in einer Welt leben, in der Leistung nicht erwartet oder gefordert, aber gewürdigt wird. Ich möchte in einer Welt leben, in der jede_r gibt, was er_sie kann, und sich das nimmt, was er_sie benötigt. Es gibt genug.

Ich möchte in einer Welt leben, in der man einander vertraut. Gemeinsam Probleme löst. In der ich meine Haustür nicht ab­schlie­ßen muss. In der niemand Angst haben muss. Ich möchte in einer Welt leben, in der die Menschen mutig sind. Sich trauen, neue Dinge aus­zu­pro­bie­ren und ein Scheitern nicht als Fehlschlag, sondern als Wissen wahrnehmen und mit­ein­an­der teilen.

Dass Menschen durch ein be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men genau dazu motiviert werden sollen, neue Dinge zu erproben, kam natürlich auch zur Sprache. Torsten for­mu­lier­te in Hinblick darauf:

Eine Ge­sell­schaft sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, einige Menschen, die nichts leisten können, ohne Bedingung versorgen zu können.

Wir können das. Ohne Probleme. Es scheitert eher am Wollen. Es ist leider keine Frage der Finanzen, sondern mangelnder Mit­mensch­lich­keit.

Für mich gehört dazu auch, dass Menschen un­ter­schied­lich viel Hilfe benötigen und erhalten und sich niemand beschwert, dass jemand anderes mehr bekommt. Wir sind alle un­ter­schied­lich. Menschen, denen das Leben mehr Steine als anderen in den Weg gelegt hat, sollten andere Menschen keine zu­sätz­li­chen in den Weg legen, sondern helfen, die vor­han­de­nen zu entfernen.

Auch das hat wieder mit Grenzen zu tun: Jemand legt dir Steine in den Weg oder grenzt dich aus? Lass uns die Steine gemeinsam aus deinem Weg räumen und die Grenze einreißen.

Sharing Society

Ich möchte in einer Welt leben, in der Besitz und Eigentum geteilt wird. Artikel 14, Absatz 2 GG beschreibt es sehr schön:

Eigentum ver­pflich­tet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der All­ge­mein­heit dienen.

Ich habe den Eindruck, dass Eigentum momentan eher dem Wohle Einzelner als dem der All­ge­mein­heit dient. Was aktuell (noch) nicht gut ist, war und ist aber nicht Thema dieses Beitrags.

Ich fände es schön, wenn Menschen selbstlos ihren Besitz der All­ge­mein­heit zur Verfügung stellen würden, ohne eine Ge­gen­leis­tung – sei es Geld, Gefallen oder Dinge – dafür zu verlangen, weil sie wissen, dass ihnen, wenn sie etwas benötigen, das sie nicht haben, geholfen wird.

Natürlich kann man nicht alles teilen. Bei­spiels­wei­se möchte ich nicht, dass jemand in meinen per­sön­li­chen Er­in­ne­rungs­ge­gen­stän­den wühlt. Die Grenze dessen, was geteilt werden kann, zu dem, was nicht geteilt werden sollte, ist schwer zu ziehen. Am ehesten kommt mir da die per­sön­li­che Grenze einer_s jeden Einzelnen in den Sinn.

Ich möchte in einer Ge­sell­schaft leben, in der Kran­ken­häu­ser, Bil­dungs­ein­rich­tun­gen, Netze (Strom, Wasser, Abwasser, Gas, Kom­mu­ni­ka­ti­on, Verkehr, etc.) allen gehören. Jeder Mensch sollte sie nutzen dürfen. Ich finde es schwierig, dass mit gewissen Dingen Geld verdient wird. Gesundheit, Bildung und Mobilität dürfen keine Frage des Geldes sein.

So wir uns Leitern, ein bisschen Mehl oder ein Bügeleisen von unseren Nach­bar_in­nen leihen, sollten wir mehr mit­ein­an­der teilen.

Ruhe, Be­son­nen­heit und Ver­ant­wor­tung

In meiner idealen Welt stellt Lautstärke kein Argument dar. Die Menschen denken in Ruhe nach, sie dis­ku­tie­ren, sie streiten, sie sind sich uneinig, aber sie arbeiten auf einen Konsens hin. Sie spalten nicht. Sie handeln besonnen.

Sie vertrauen einander und stellen niemanden unter Ge­ne­ral­ver­dacht. Sie achten die Un­schulds­ver­mu­tung.

Gleich­zei­tig übernehmen sie freiwillig die Ver­ant­wor­tung für ihr Handeln. Ich möchte in einer Welt leben, in der niemand dem_der Anderen schadet. Ich will in einer Ge­sell­schaft leben, in der Menschen vergeben.

Und menschlich sind.

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