bullshit

Angela Merkel ist Hitlers Tochter

Im September 2001 zogen wir nach Franken. Am 11. September 2001 passierte 9/11. Zufall? Ein paar Jahre später besuchten wir mit Tante, Cousins, Cousinen und Freun­d*in­nen das Bar­den­tref­fen in Nürnberg. Die Fahrt mit dem Zug dauerte eine halbe Stunde, wir dis­ku­tie­ren über alles Mögliche. Smart­pho­nes gab es damals noch nicht, MP3-Player waren un­be­zahl­bar und das Internet war damals noch wirklich Neuland und in weiter Ferne.

Die Nach­bar*in­nen meiner Tante waren zu der Zeit Zeugen Jehovas, beim uni­ver­sel­len Leben oder einer ver­gleich­ba­ren Ver­ei­ni­gung und somit ein in­ter­es­san­tes Thema zum Lästern. Irgendwer fragte irgendwann, was die denn so wollen. Das ist doch ganz klar, sagte ich, die wollen die Welt­herr­schaft. Danach tat ich wichtig, unnahbar und schaute aus dem Fenster. Was man halt so macht als Kind, das sich — und anderen — etwas erklärt hat und keine Rückfragen zulassen will.

Am Donnerstag fuhr ich wieder mit der Bahn, dieses Mal eine etwas längere Strecke. Am Bahnhof kaufte ich mir für die Fahrt „Angela Merkel ist Hitlers Tochter“ von Christian Alt und Christian Schiffer.

Christian und Christian — ich verwechsle die beiden immer — haben ein Buch über Ver­schwö­rungs­my­then, -theorien und -prak­ti­ker*in­nen ge­schrie­ben. Sie erklären, wie und warum sie funk­tio­nie­ren, nehmen einige Mythen aus­ein­an­der und besuchen den Vater einer Freundin, der gerade seinen Zeh in den Ka­nin­chen­bau gesteckt hat. Sie entwerfen eine eigene Ver­schwö­rungs­theo­rie, kaufen sich eine Face­book­grup­pe und bringen die beiden zusammen — Spoiler: Don't try this at home. Sie reden mit Richard Gutjahr über die Shirts­torms, die seine Familie und er abbekamen, und sie geben sich zwei Drittel eines Vortrags von David Icke, bevor sie das letzte, wirklich grandiose Kapitel („Lasst uns eine Wis­sens­py­ra­mi­de bauen“) schreiben.

Das Buch ist größ­ten­teils komisch und lustig, manchmal ernst. Zwi­schen­drin ging mir der pubertäre, rotzige, „Bullshit!“-lastige Schreib­stil auf die Nerven. Sie selbst sagen, dass sie das Buch für die schwei­gen­de Mehrheit ge­schrie­ben haben. „Eine Mehrheit, die keine Lust mehr hat, über un­be­wie­se­ne Fakten zu streiten“ (S.13). Da­bei­ ­ma­chen sie sich immer wieder über Ver­schwö­rungs­theo­ri­en und ihre Prak­ti­ker*in­nen lustig, sie über­trei­ben und verdrehen dabei die Augen.

Mehr als einmal hatte ich den Eindruck, dass sich die beiden mit dem Buch einen Spaß erlauben: Bisweilen un­ter­mau­ern sie ihre Er­kennt­nis­se mit Beispielen, dass mir Dr. (!) Axel Stoll himself auf der Schulter saß und mir sein berühmt-be­rüch­tig­tes „Muss man wissen!“ ins Ohr flüsterte. Gefühlt hoppelt man mit Christian und Christian immer tiefer in den Ka­nin­chen­bau hinein. Nichts­des­to­trotz finden sich immer wieder auch scheinbar banale, aber wichtige Er­kennt­nis­se:

Alles in allem ist es ein durchaus un­ter­halt­sa­mes Buch. Als ver­meint­lich auf­ge­klär­ter Mensch kann man bei der Lektüre recht häufig schmunzeln und sich besser fühlen. Weil man selbst ist ja gar nicht so doof, an Ver­schwö­rungs­theo­ri­en zu glauben. Und man wird ge­le­gent­lich daran erinnert, an was für einen Bullshit man als Kind — oder die alten Griechen mit ihren Göttern — ­bis­wei­len geglaubt hat, weil man es nicht besser wusste, aber auch irgendwie zu bequem war, sich damit aus­ein­an­der zu setzen und seine Ansichten zu überdenken. Grüße an die Nach­bar*in­nen meiner Tante, ihr wart echt ziemlich nett.

Das Buch ist 2018 im Hanser-Verlag erschienen und kostet 18 Euro. Das Register beginnt auf Seite 279, die Quersumme davon ist 18. Ich glaube, ich bin da was ganz großem auf der Spur. Und jetzt kommt's: Das Buch beginnt auf Seite 9. Und was ist die Quersumme von 18? Denkt mal drüber nach.

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