bullshit

Diese junge Leute

Die Deutsche Bank hat in einem Paper Ideen gesammelt, um die Wirtschaft und Ge­sell­schaft nach der COVID—19-Pandemie wieder aufzubauen.

Ein gewisser Luke Templeman hat sich mit seinem Vorschlag einer Homeoffice-Steuer nicht unbedingt beliebt gemacht — auch bei mir nicht. Sein Argument: Weil Menschen, die von zuhause aus arbeiten, nicht ins Büro pendeln und in der Mit­tags­pau­se mit Kol­le­g*in­nen essen gehen und so die Wirtschaft ankurbeln, sollten sie für jeden Tag im Homeoffice eine Steuer zahlen.

Doch diese schlechte ist nur eine Idee, nur ein Teil dieses Papiers. In einem anderen rufen besagter Luke Templeman und Jim Reid dazu auf, diesen jungen Leuten zu helfen. Aber nicht, weil sie nett sind und diesen jungen Leuten helfen wollen, sondern weil ihnen der Arsch gehörig auf Grundeis geht und sie Angst um den Ka­pi­ta­lis­mus haben (Alle englischen Zitate sind dem Paper entnommen, auf die sich auch die Sei­ten­an­ga­ben beziehen. Die jeweilige deutsche, freie Über­set­zung ist von mir.):

Democratic capitalism is under threat as increasing numbers of young people view the system as rigged against them. (S. 8)

Der de­mo­kra­ti­sche Ka­pi­ta­lis­mus wird von einer wachsenden Zahl junger Leute bedroht, die das System als gegen sich gerichtet sehen.

Also alles nur ein Wahr­neh­mungs­pro­blem? Darüber hinaus habe ich keine Ahnung, was Herrschaft des Volkes und Herrschaft des Kapitals mit­ein­an­der zu tun haben. Aber ich bin weder Journalist, noch Forscher, sondern geniesse das Privileg aller Blog­ger*in­nen: Ich muss keine Lösung anbieten, ich kann auch einfach mal nur rotzig meine Meinung rausblasen. Im Prinzip machen Luke und Jim ja auch nichts anderes, nur werden sie dafür vermutlich besser bezahlt als ich — oder überhaupt? — und malen ein paar schöne Diagramme in ihr Konzept. Das kann ich zwar auch, aber ich schweife ab.

OK Boomer

Luke und Jim fällt auf, dass es diesen jungen Leute von heute auch wirt­schaft­lich nicht gut geht und sie un­zu­frie­den sind. Diese jungen Leute von heute finden es nicht so geil, was die Vor­gän­ger­ge­ne­ra­ti­on bei­spiels­wei­se mit dem Planeten, der Bildung und den Im­mo­bi­li­en­prei­sen in den Städten gemacht hat, von sozialer Un­gleich­heit mal ganz zu schweigen. Aber für Luke und Jim ist eine Sache glasklar: Es ist nicht das System, es ist nicht der Ka­pi­ta­lis­mus, denn:

After all, the system is far from perfect. But it is the best system we know for human ad­van­ce­ment. (S. 12)

Das System ist alles andere als perfekt. Aber es ist das beste System für den mensch­li­chen Fort­schritt, das wir kennen.

Die Lösung der beiden: Wir behalten den Ka­pi­ta­lis­mus deshalb und verteilen einfach ein bisschen hier, ein bisschen da von alt nach jung um, notfalls eben auch mit höheren Steuern auf Fi­nanz­pro­duk­te, Aktien und Co. Fertig, alle zufrieden? Ge­gen­vor­schlag: Ihr fahrt zur Hölle und wir schaffen den Ka­pi­ta­lis­mus ab.

Jim und Luke ar­gu­men­tie­ren mit einer gewissen Dring­lich­keit, denn mit der Zeit werden diese jungen Leute die Boo­mer*in­nen bei Wahlen einfach über­stim­men können. Und dann geht die Welt unter:

Yet, we must realise and accept the risk of a politician harnessing anger and upending capitalism such that it is de­tri­men­tal to the lives of everyone in society. (S. 12)

Wir müssen das Risiko erkennen und ak­zep­tie­ren, dass ein*e Po­li­ti­ker*in diese Wut nutzt und den Ka­pi­ta­lis­mus so umstößt, dass es schädlich für alle in der Ge­sell­schaft ist.

Außerdem ist es im eigenen Interesse der Boo­mer*in­nen, es sich mit den nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen nicht zu ver­scher­zen:

Thus, the older generation is entirely reliant on the goodwill of young people, the fruits of their education, and their wil­ling­ness to form larger families. [...] Currently, that goodwill does not exist. (S. 15)

Die ältere Generation ist vollkommen abhängig vom Wohlwollen der jungen Leute, den Früchten ihrer Bildung und ihrem Willen, großer Familien zu gründen. [...] Aktuell exisitiert dieser gute Wille schlicht nicht.

Haben Jim und Luke eigentlich mal mit diesen jungen Leuten geredet? Die vielen "System Change, not Climate Change"-Schilder bei Demos gesehen? Oder nehmen sie ihre Anliegen trotzdem einfach nicht ernst? Es wäre ja nicht das erste Mal, dass (alte) weiße Männer andere Menschen ent­mün­di­gen und über ihre Köpfe hinweg ent­schei­den.

Es steht bei Jim und Luke of­fen­sicht­lich nicht zur Debatte, dass diese jungen Leute keinen Bock mehr haben auf eine Wirt­schafts­form, die ausbeutet, die auf immer mehr, immer mehr angewiesen ist, die scheisse und absolut ungerecht ist. Und so nebenbei halt den Planeten zerstört und soziale Un­gleich­hei­ten noch weiter ver­schlim­mert.

Sie sehen viele Probleme, unter denen diese jungen Leute leiden, aber ihre Lösung ist, im Großen und Ganzen so wei­ter­zu­ma­chen, wie bisher. Sie wollen diese jungen Leute be­sänf­ti­gen und Symptome bekämpfen. Es tut mir leid, aber ihre angeblich so radikalen Ideen sind für mich höchstens ein erster Schritt, um zeitweilig für mehr Ge­rech­tig­keit zu sorgen, aber wahr­schein­lich bin ich mega radikal. Nein, eigentlich tut es mir nicht leid.

Randnotiz Deutsche Bank

Dass es aus­ge­rech­net zwei Hanseln der Deutschen Bank sind, die Um­ver­tei­lung und mehr Fairness vor­schla­gen, freilich nur, um ihren eigenen Arsch zu retten, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, sei aber nur eine Randnotiz. Zur Erinnerung: Die Deutsche Bank ist die Bank, die gefühlt kein Steu­er­schlupf­loch, keine Mög­lich­keit zur Steu­er­hin­ter­zie­hung aus­ge­las­sen hat zwischen CumEx-Files, Panama Papers, Offshore-Leaks, Paradise Papers, Luxemburg-Leaks. Das ist die Bank, die Geschäfte mit Donald Trump und seinem ehemaligen Kumpel Jeffrey Epstein gemacht hat und der russische Mafia bei der Geldwäsche geholfen hat.

Vielleicht wäre es ja auch für den Anfang eine Idee, wenn die Deutsche Bank Reiche und Su­per­rei­che nicht mehr bei Steu­er­hin­ter­zie­hung und -vermeidung un­ter­stüt­zen würde. Vielleicht wäre es auch mal eine Idee, dass Reiche und Su­per­rei­che sich mal si­gni­fi­kant an Steu­er­nein­nah­men beteiligen und ihr Geld nicht in Stiftungen parken. Oder in Panama. Für Jim und Luke mit ihren ach so radikalen Ideen müssen diese Vorschläge ja doch eher langweilig und kon­ser­va­tiv klingen.

Aber das Problem ist be­kannt­lich nicht (nur) die Deutsche Bank. Das Problem ist der Ka­pi­ta­lis­mus. Und der kann gerne ebenfalls zur Hölle fahren. Oder, wie Jim und Luke es for­mu­lie­ren:

If we do not enact sub­stan­ti­al change now, then a generation of young people will soon take power. When they do, all in­di­ca­ti­ons are that they will enact policies that not only forcibly re­dis­tri­bu­te in blunt ways, but also upend the very foun­da­ti­ons of capitalism. (S. 15)

Wenn wir nicht jetzt sub­stan­ti­ell etwas ändern, dann wird eine Generation von jungen Leuten bald die Macht übernehmen. Alles deutet darauf hin, dass sie dann nicht nur eine Politik betreiben, die zwangs­wei­se scho­nungs­los umverteilt, sondern auch das Fundament des Ka­pi­ta­lis­mus umwirft.

Diese jungen Leute mögen dann bitte bald mal damit anfangen. Jim und Luke haben ja schon erkannt, dass es drängt.

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