bullshit

Rote Ampeln waren noch nie so egal

Mir ist langweilig. Kurz vor elf unter der Woche, eigentlich könnte ich auch ins Bett gehen. Schlafen. Ich bin aber nicht müde. Ge­fähr­li­che Kom­bi­na­ti­on. Kriege wurden wegen weniger begonnen, da bin ich mir sicher. Also auf in den Krieg? Nein, Kriege sind scheisse. So wie Frontex und ihr, unser aller Krieg gegen Men­schen­rech­te und Menschen auf der Flucht.

Aber jetzt ist mir langweilig. Meine bisherigen Ver­drän­gungs­me­cha­nis­men langweilen mich ebenfalls oder hängen mir zum Hals raus. Oder beides. Haustiere, Mit­be­woh­ner*in­nen oder Part­ner*in­nen? Zuhause niemand. Konnte ja nicht ahnen, dass da eine Pandemie kommt, sonst hätte ich im Tierheim, Tinder und Kneipen gehamstert. An­de­rer­seits bin ich bisweilen echt froh, dass ich alleine lebe — kaum aus­zu­den­ken, dass es andere Menschen mit mir aushalten müssten, wo ich es doch gerade schon schlecht mit mir selbst aushalte. Aber müde, müde bin ich nicht. Vielleicht liegt es an der Zeit­um­stel­lung, vielleicht aber auch an den beiden Kästen Mate, die vor einigen Tagen auch schon mal voller waren.

Langeweile, nachts und nicht müde — eigentlich müsste ich jetzt irgendeine Dummheit machen, ir­gend­et­was Illegales, Ge­fähr­li­ches. War ich dafür mitt­ler­wei­le nicht zu erwachsen, zu spießig? Auf so ein Gerüst wollte ich nachts aber schon immer mal. Nur dafür bin ich dann doch zu feige. Lauter Ausreden und so schwinge ich mich auf mein Schlacht­esel aus Draht — wir reiten in den Kampf. Also die Nacht. Immer auf der Suche nach einem eben­bür­ti­gen Gegner. Oder einem Drachen. Jemandem, der mit Warn­blin­ker auf dem Fahr­rad­strei­fen steht. Aber da ist niemand.

Eine Stadt, die sonst niemals schläft, schläft. Oder sie ist tot. Keine Autos, keine Menschen. Mit anderen Worten: Die Stadt gehört mir. Oder die Straße, mehr brauche ich nicht. Mehr will ich nicht. Wenn mir niemand ent­ge­gen­kommt. Und das sind vielleicht vier, fünf Menschen, ansonsten teile ich sie mir mit meinem Fahrrad. Rote Ampeln? Egal, kommt ja nichts und niemand. Unter den Linden wenden und ein bisschen entgegen der Fahrt­rich­tung zu­rück­fah­ren? Wenn nicht jetzt, wann denn bitte dann?

Ein paar Meter weiter steht ihrerseits die Staats­ge­walt in einem Corsa an einer roten Ampel und kann mich quasi nicht übersehen. Of­fen­sicht­lich ist ihr mein Manöver auch egal. Oder sie hat es nicht gesehen. Ersteres gefällt mir eindeutig besser, deshalb ist das jetzt so. Ist auch besser für meine Street Credi­bi­li­ty. Ich freue mich darauf, wenn die Be­reit­schafts­po­li­zei nicht mehr in ihren Wannen durch die Gegend fährt, Durchsagen im Mauerpark macht, stillen Protest mit reichlich Luft am Bran­den­bur­ger Tor nicht mehr un­ter­drückt.

Eine Stunde später komme ich wieder zuhause an. Ich bin immer noch nicht müde, aber habe eine Idee für einen Blogpost. War da vorhin, als ich los­ge­fah­ren bin, nicht noch ein Rücklicht an meinem Rad? Habe ich das unterwegs etwa verloren?

Podcast Analytics 2020.1 » « Nächstes Mal also beides