bullshit

Ich will gerade nicht.

Ich bin krankgeschrieben. Irgendwann am letzten Wochenende habe ich mir eine Erkältung eingefangen, die den Spieß dann kurzerhand umdrehte und mich ihrerseits nicht mehr losließ. Nun verbringe ich meine Zeit also zwischen Schlaf, Aspirin Complex und Kamillentee auf dem Sofa. Eine Staffel „The Punisher“ habe ich ebenso hinter mir wie diverse Artikel der New York Times und vier Teile einer großartigen, vierteiligen arte-Dokumentation über die Zeitung aus New York und Donald Trump. O tempora, o mores.

Und dann lese ich ein Interview mit Julian Reichelt, der die BILD mit eben jener New Yorker Zeitung vergleicht:

Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass wir zu den ganz wenigen verbliebenen Medienmarken gehören, die tatsächlich in Journalismus vor Ort investieren. Wir nehmen wahnsinnige Kosten auf uns, um sicherzustellen, dass unsere Reporter vor Ort sind. [...] Wir sind da, wo die „Post“ oder die „New York Times“ sind, oder umgekehrt: Die sind da, wo wir sind. [...] „BILD“ verdient mit Journalismus so viel Geld, dass wir uns grandiosen Journalismus leisten können.

— Julian Reichelt (Quelle)

Interessant, dass Reichelt „grandiosen Journalismus“ und „BILD“ in einem Satz erwähnt, so als wäre es das Ziel, das Geschäftsmodell von BILD, grandiosen Journalismus zu fabrizieren und damit Geld zu verdienen. Die Anwälte von Axel Springer drückten das vor mehr als drei Jahren ein bisschen anders aus:

Das Kerngeschäft der Klägerin ist die Vermarktung von Werbung. Journalistische Inhalte sind das Vehikel, um die Aufmerksamkeit des Publikums für die werblichen Inhalte zu erreichen.

Quelle

Doch zurück zu Reichelt: Die Schülerzeitung des Gymnasium Othmarschen — seiner ehemaligen Schule — hat ihn in Berlin besucht, besagtes Interview geführt und eine — gefühlt bessere — Analyse geschrieben.

Da kommt mir auf dem Sofa eine Idee: Warum nicht mal wieder einen Blogpost schreiben zu einem Thema, von dem ich keine Ahnung, aber auch als Aussenstehender eine Meinung habe? Wie Reichelt verbringe ich viel Zeit auf Twitter — ich bin also auf jeden Fall qualifiziert genug für einen Text mit ungefähr 280 Zeichen oder mehr, den ich mir — wie Reichelt wahrscheinlich auch — von niemandem absegnen lassen muss.

Zeitungen sind so ein Thema — sie faszinieren mich. Wir beide haben eine, gemeinsame, aber auch relativ einseitige Geschichte. Als ich in die Grundschule ging, habe ich gerne und viel Zeitungen gelesen: Täglich die Tageszeitung, die meine Eltern abonniert hatten, gelegentlich Wochenzeitungen und Magazine in Arztpraxen. Damals — und während der ersten Jahre auf dem Gymnasium — gab es das Internet für mich noch nicht. Nachrichten kamen aus dem Radio oder eben aus der Zeitung.

Der Teil, der mir neben dem ersten Buch immer am besten gefallen hat, war „Aus aller Welt“ beziehungsweise „Weltweit“ — da gab es oft Schau- und andere Bilder und jede Menge unnützes Wissen. Den Sportteil fand ich immer langweilig und auch den Lokalteil blätterte ich morgens vor oder mittags nach der Schule ziemlich schnell durch. So ging das jeden Tag, unter der Woche, am Wochenende, in den Ferien. Nur an einem Tag bekam ich die Zeitung überhaupt nicht, an das Datum kann ich mich auch 17 Jahre später gut erinnern: Es war der 12. September 2001.

Als ich ein paar Jahre später die Schule wechselte, änderte sich etwas: Von nun an las ich Zeitung in der gedruckten Form morgens nur noch am Wochenende und unter der Woche mittags — ich nahm mir oft mehr Zeit für die Lektüre. Und auf einmal war auch der Lokalteil interessant — der Sportteil hingegen war es immer noch nicht und wird es auch nie werden. Später kam dann das Internet. Und Werbeblocker.

Während der Ausbildung zog ich nach Heidelberg und las ich die Rhein-Neckar-Zeitung als RSS-Feed und im Internet. Irgendwann führte die RNZ dann eine Paywall ein: Nach zehn gelesenen Artikeln im Monat sollte ich zahlen. Diese Paywall ließ sich sehr einfach umgehen und so las ich weiter. Irgendwann zwischendrin beteiligte ich mich dann noch am Crowdfunding der Krautreporter, aber im Endeffekt war ich zu ungeduldig für die langen, wenn auch tollen Texte. Und dann ist da noch der Stapel brand einsen, der über die letzten Jahre langsam, aber sicher angewachsen ist.

Auch in Berlin las ich weiter interessiert die Heidelberger Zeitung. Weil ich jetzt aber zum ersten Mal in meinem Leben viel Geld verdiente, hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich umsonst Texte las, die von Menschen geschrieben wurden. Und so schloss ich ein RNZonline-Abo ab. Die Zugangsdaten kamen per Post.

Nach ungefähr einem Jahr waren die Heidelberger Neuigkeiten dann nicht mehr wirklich interessant und ich kündigte wieder. Dann passierte lange Zeit nichts, ich klickte nur ein paar hundert, wenn nicht gar tausend Mal auf „Gerade nicht“, „Schon dabei“ und „Jetzt nicht, ich will weiterlesen“ oder las einen Artikel dann eben gar nicht, wenn ich dafür meinen Werbeblocker hätte deaktivieren müssen.

Dabei ist Journalismus wichtig, in der heutigen Zeit vielleicht so wichtig wie nie zuvor: Er sollte mir etwas — in Form von Geld — wert sein. Nur: Wieviel? Netflix, Apple Music und Werbeblocker haben mich da wohl ein bisschen kaputt gemacht — schuld sind immer die anderen. Was bin ich bereit, für Journalismus auszugeben? Was sind er und die Menschen, die die Texte schreiben und die Bilder aussuchen mir wert? Was sind sie Dir wert?

Mit diesen Hintergrundgedanken zog ich vor ein paar Tagen fest entschlossen aus, Abonnent einer Zeitung zu werden. Preisgünstig sollte es sein, so als Wiedereinstiegsdroge, von der ich mich notfalls auch schnell wieder trennen können will. Rund fünf Euro pro Ausgabe der ZEIT? Das wären 2001 umgerechnet 9,78 Mark gewesen, im Monat 39,12 Mark — danke, aber vielleicht später. 11,90 Euro pro Monat für ein digitales Abo der RNZ wie damals, um mein Gewissen zu beruhigen? Netter Versuch. Oder doch eher ein Abo der Berliner Zeitung, monatlich kündbar für 22,90 Euro? Tagesspiegel für 31,99 Euro? Das sind ja fast elf Döner — in Mark will ich das gar nicht erst umrechnen. Was wäre mit Kiez-Journalismus à la Prenzlauer Berg Nachrichten?

Jetzt mal ehrlich: Weder die 39 Mark und 12 Pfennig, noch 11,90 Euro und auch nicht fast elf Döner würden mich arm machen, aber gefühlt eben schon. Neben Twitter scheinen falsche Gefühle eine weitere Gemeinsamkeit von Reichelt und mir zu sein — so langsam wird das echt gruselig.

Was will ich eigentlich? Ich will mich nicht entscheiden müssen und notfalls monatlich kündigen können — danke Netflix. Eine gedruckte Zeitung als PDF? Das ist eher so 2001. Gebt mir eine App, am liebsten hätte ich aber dann doch einen werbefreien RSS-Feed. Und ich will mich nicht jedes Mal irgendwo anmelden müssen. Gleichzeitig will ich keine Werbung und auch nicht getrackt werden. Und natürlich das volle Programm: Tagesaktuelle Nachrichten, Hintergrundartikel, grandiosen Journalismus, schlechte Wortwitze, investigative Reportagen — gebt mir ALLES.

Beeinflusst durch die arte-Dokumentation liebäugelte ich dann mit einem digitalen Abo der New York Times. Zwei Euro die Woche? Schon eher das, was mir für den Anfang vorschwebte. Mehr Geld kann ich ja später immer noch ausgeben. Trotzdem zögerte ich noch, weil es für diesen Preis doch bestimmt auch ein digitales Abo einer deutschen Zeitung geben muss. Ich ging auf Toilette und Instagram. Und da erwartete mich ein Angebot der Times: „Now just €2 €1 a week.“. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Ein Mitarbeiter der Timer bezeichnete Facebook und Google als die eigentlichen Konkurrenten aller Printmedien: Unternehmen würden ihre Werbebudgets jetzt nicht mehr in Print stecken, sondern eben in Facebook, Google und Instagram.

Wenige Minuten später war das Abo dann trotzdem abgeschlossen, die deutschen Zeitungen vergessen, mein Gewissen zumindest für einige Tage beruhigt. Bis jetzt.

In einem anderen Leben wäre ich selbst gerne einmal Journalist geworden. Die einzige Zeitung, an der ich bisher mitgerarbeitet habe, war allerdings die Abi-Zeitung — wahrscheinlich habe ich von Zeitung und Presse ungefähr soviel Ahnung wie von kleinen Kindern. Für die Schulzeitung war ich immer zu faul/feige. Stattdessen hat es nun gerade einmal zu unregelmässigen Blogposts gereicht. Und einem Job, bei dem ich für Journalismus eigentlich genug Geld ausgeben könnte.