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GLS jetzt auch in grün

In Berlin sind mir bei einem meiner Spaziergänge einige Kleintransporter aufgefallen, auf denen das peppige Logo von Parcel Shuttle zu finden ist. Das ist die Marke einer Firma namens GLS eCom Lab GmbH. Diese Firma hat ihren Sitz zufällig an der gleichen Adresse wie die General Logistics Systems Germany GmbH & Co. OHG, besser bekannt als GLS, in der GLS-Germany-Strasse. Zufälligerweise haben die beiden Firmen auch den gleichen Geschäftsführer. Hinter diesem hippen Startup verbirgt sich also ein Logistikriese mit einigen Milliarden Euro Umsatz im Besitz der britischen Royal Mail und damit könnte dieser Blogpost eigentlich auch schon enden.

Auf den Vans ist zu lesen, dass ich mit 12 Euro Stundenlohn rechnen kann, dazu werben sie damit, dass ich das Trinkgeld behalten kann. Also wenn Kundïnnen denn welches geben. Und mal ganz ehrlich: Wie häufig habt ihr das in den letzten zwölf Monaten getan? Paketbotïnnen Trinkgeld gegeben?

Alles anders?

Die Paketbranche ist jetzt nicht unbedingt bekannt dafür, gut mit Mitarbeiterïnnen umzugehen, GLS scheint da eher nicht die löbliche Ausnahme zu sein. Günther Wallraff hatte sich den Laden vor einigen Jahren mal genauer angeschaut und war eher so mässig begeistert.

Aber mit Parcel Shuttle wird das jetzt alles anders, versprochen! Da arbeitet "ein bunter Haufen aus Logistikexperten, Software-Entwicklern, Customer-Experience-Talenten und Machern, denen die Fahrer-Community am Herz liegt" daran, das zu ändern. Und wer sind eigentlich die Kundïnnen?

Unsere Kunden? Die Fahrer. Unsere Fahrer-Community ist unser wertvollstes Asset. Wir wollen ihr Leben bereichern. Deswegen bieten wir höchste Flexibilität, kurze Arbeitswege, faire Bezahlung. Und das bei regulären Arbeitsverhältnissen. — parcelshuttle.de

Offenbar hat GLS verstanden, dass Scheinselbstständigkeit und Co. weder bei echten Kundïnnen, noch bei Auftraggeberïnnen und vor allem beim Finanzamt so gut ankommen. Also muss ein neues Konstrukt her, mit dem man bei möglichst geringen Sozialabgaben günstig Pakete ausliefern kann. Ausserdem hatte GLS laut Konzernlagebericht 2018/2019 Schwierigkeiten damit, neue Mitarbeiterïnnen zu rekrutieren, also warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?

Bei Parcel Shuttle ist man als Minijobberïn oder Werkstudentïn fest angestellt, muss aber eine feste Anzahl Pakete pro Schicht ausliefern, zumindest suggierieren das die FAQs. Der Job klingt jetzt nicht unbedingt ein Zuckerschlecken, aber für elf bis zwölf Euro Stundenlohn kann man ja auch mal was schaffen. Zwar ist man als Minijobberïn nicht zwangsläufig krankenversichert, aber das ist ja bekanntlich nicht Sache des Unternehmens.

Die letzte Meile

Was für die deutsche Post und DHL die Packstationen sind, scheint für GLS das Tochterunternehmen Parcel Shuttle zu sein: Die letzte Meile ist da so immer das Aufwendige, das Anstrengende, das Ätzende, das man als Logistikunternehmen eigentlich loswerden möchte. Parcel Shuttle wirbt übrigens damit, die "Last-Mile-Lieferplattform" auch für andere Unternehmen anzubieten. Dass es sich dabei um verschiedene Marken ein und desselben Konzerns handelt, das muss man ja nicht unbedingt erwähnen. Ein Logo der Royal Mail macht sich doch sehr gut auf einer Webseite.

So wie die Packstationen in der Gegend rumstehen, so tun es auch die Fahrzeuge von Parcel Shuttle. Anstatt neben Supermärkten stehen sie wie neumodische Spielzeug eScooter einfach auf der Strasse in der Gegend rum. Indem man die Infrastruktur der Allgemeinheit missbraucht, kann man natürlich auch die Miete für Depots sparen.

Bei DHL sollen die Paketempfängerïnnen ihre Pakete bitte selbst abholen, wobei sie -- und das muss ich fairerweise auch erwähnen -- viel flexibler und selbstbestimmter bei der Paketabholung sind. Warum die Versandkosten für Pakete dann allerdings nicht geringer sind, wenn ich sie an eine Packstation senden lasse, erschliesst sich mir nicht so ganz. Denn schliesslich erbringe ich einen Teil der Dienstleistung, für die ich bezahle, ja selbst.

Parceliveroo

Bei Parcel Shuttle handelt es sich einfach nur um die Anwendung der Gig Economy auf die Paketbranche: Geringfügig Beschäftigte oder Selbständige erledigen die Arbeit und liefern Pakete aus, mit allen Vorteilen für die Arbeitgeberïnnen und mit allen Nachteilen für die Arbeitnehmerïnnen. Ich muss nur mein eigenes Smartphone mitbringen und schon kann ich ein bisschen Geld verdienen. Früher war das so, dass Arbeitgeberïnnen für Arbeitsmittel zuständig waren, aber neue Zeiten, neue Sitten.

Wie gut und nachhaltig so etwas funktioniert, zeigen Uber, Deliveroo, AirBNB und Co. ziemlich gut. Du hättest gerne einen Betriebsrat und betriebliche Mitbestimmung? Ja, sehr gerne, aber dein Vertrag wird leider nicht verlängert. Du wirst krank? Dann hast du doppelt Pech: Weil du nur nach geleisteten Stunden bezahlt wirst, verdienst du in dem Fall nichts. Oh, und um eine Krankenversicherung musst du dich selbst kümmern. Tja 🤷.

Gesellschaftliche Verantwortung? Hä?

Ich finde es unmöglich, wenn Unternehmen sich vor ihrer Verantwortung für Mitarbeiterïnnen und Gesellschaft drücken. Aber offenbar haben wir als Gesellschaft kein Problem damit, wenn Unternehmen sich daneben benehmen. Denn schliesslich ist es wichtiger, dass wir unsere Pakete günstig verschicken können.

Vielleicht bin ich in meinen Ansichten aber auch einfach ein alter, überholter, unflexibler Dinosaurier: Ich finde beispielsweise, dass Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Sozialversicherungen einfach eine Selbstverständlichkeit und kein Privileg zu sein haben. Dass Unternehmen Verantwortung für ihre Mitarbeiterïnnen übernehmen müssen. Aber vielleicht scheint diese Gig Economy, wo alle für sich arbeiten und reiche Menschen durch Ausbeutung noch reicher werden, die neue Norm zu sein. Wo ist die Solidarität hin?

Fazit

Alles in allem versucht hier scheinbar ein grosser, profitabler Konzern halbinnovativ mit einer neuen, hippen Marke noch mehr Geld zu verdienen. Mein Eindruck ist, dass Parcel Shuttle aber alles andere als nachhaltig und einfach nur die Fortsetzung der Ausbeutung mit anderen Mitteln ist, trotz hübschem Nachhaltigkeitsbericht der Konzernmutter mit einigem Blabla zur sozialen Verantwortung.

Und deshalb würde ich mich freuen, wenn sich die GLS Beteiligungs GmbH auch in ihrem nächsten Konzernbericht darüber beklagt, nicht genügend Mitarbeiterïnnen rekrutieren zu können.