Ich bin ein weißer cis Dude, bin weder betroffen, noch habe ich Ahnung. Damit könnte dieser Blogpost eigentlich auch schon enden. Aber ich habe eine Meinung und privat bin ich übrigens eigentlich auch ganz nett.
Die Corona-Pandemie verbringe ich größtenteils im bequemen Homeoffice, das höchstens dann kalt wird, wenn ich das Fenster zu lange auflasse. Privilegien ohne Ende. Neuerdings mache ich täglich nach der Arbeit einen längeren Spaziergang. Das soll verhindern, dass mir die Decke auf den Kopf fällt. Immer eine ähnliche Strecke, immer irgendwie um den Block.
Heute ging ich an einem Laden vorbei, an dessen Scheiben an der Innenseite Zettel mit Jobangeboten hingen. Von E-Commerce war da die Rede, von Marketing und Praktika. Gerade in diesen Zeiten finde ich Zettel an Fenster unglaublich interessant — meistens steht uninteressanterweise etwas wegen Covid-19 da — und so trat ich näher und las.
Eine kleine Firma — man könnte fast sagen: Ein Startup — die nachhaltige Menstruationsprodukte herstellt, sucht Mitarbeiter*innen. Ihr Ziel: Mit Femcare die Welt verbessern und nebenbei Menstruation enttabuisieren. Eine großartige Idee! Ich hoffe sehr, dass sie es schaffen oder zumindest sehr weit kommen. Und ich finde, die machen ziemlich viel richtig gut. Nachhaltigkeit: Super! Enttabuisieren: YES! Hohe Frauenquote: Wow!
Mir ging das aber nicht mehr so richtig aus dem Kopf, und so surfte ich nach dem Spaziergang im Netz.
Während ich mich da durch die Webseite der Firma lese, suche ich vergeblich den Begriff „Frau“. Sie schreiben genderneutral — nice — nur der Begriff Femcare ließ mich stutzen. Das suggeriert fast ein bisschen, dass nur und alle Frauen menstruieren würden. Zwar schreiben sie überall von „menstruierenden Menschen“, aber dann doch wieder, dass sie vorab Frauen interviewt hätten. Für mich riecht Femcare einfach ein bisschen nach einem Begriff vom Startupbullshitbingo.
Der Stein des Anstoßes waren aber die Jobangebote. Unter anderem suchen sie Student*innen für Praktika in E-Commerce und Marketing. Vollzeit, 40 Stunden pro Woche. In einem Büro im Prenzlauer Berg. Für 350 bis 400 Euro pro Monat. Das ist ein Stundenlohn zwischen 2,18 und 2,50 Euro. Wenn die Familie da nicht ordentlich was drauflegen, ich mich verschulde oder auf Schlaf verzichte, damit ich neben meinem Vollzeitjob noch eine zweite Arbeitsstelle habe, wie soll ich denn dann von dieser Aufwandsentschädigung leben, gerade in Berlin? Und wenn schon so mies bezahlt, warum dann auch noch Vollzeit? Wovon leben Studierende heutzutage eigentlich in Berlin? Was essen sie, wo schlafen sie?
Für mich ist das ein Widerspruch: Zum einen wird sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit gelegt, zum anderen ballert da diese furchtbare, toxische Startup—Mentalität mit ihrer Ausbeutung rein. Sicherlich ist es gerade in der Anfangszeit eines Unternehmens sehr schwierig, Menschen gut zu bezahlen — ich bin in diesem Fall fast davon überzeugt, dass die Firma das wirklich ungerne tut, aber sie tut es. Und sicherlich ist da auch viel Selbstausbeutung im Spiel. Ich finde es trotzdem schade, dass ein echt cooles Unternehmen dieses Spiel mitspielt. Bitte bezahlt eure Leute richtig — und auch wenn das bei Praktika eher unüblich ist, überhaupt etwas zu bekommen, so ist Stundenlohn von 2,50 Euro einfach unverschämt. Wenn Ausbeutung eine tragende Säule deines Geschäftsmodells ist, dann ist dein Geschäftsmodell kaputt. Es tut mir fast ein bisschen leid, dass der Grund dieses Blogposts eine kleine, geile Firma ist.
Meine bisherigen Vermieter*innen musste ich immer in Euro bezahlen — familiäre Atmosphäre akzteptieren sie leider nur zuhause.
Vielleicht bin ich aufgrund der Erfahrung bei einem früheren Arbeitgeber aber auch einfach vorbelastet: Dort lastete der Versand und die stupiden, manuellen Arbeitsschritte der Qualitätssicherung auf Praktikant*innen. Ich hoffe, dass diese Firma demnächst pleite geht. Dem nachhaltigen Startup wünsche ich von ganzem Herzen, dass sie bald ordentliche Löhne zahlen können — und wollen.
Genug gemansplaint.