Am Wochenende war 1. Mai. Das ist Tag der Arbeit, wie jeder andere auch, aber eben ein besonderer. So besonders, dass er in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag ist, an dem man nicht arbeiten muss. Außer halt man muss es. Dieses Jahr fiel der besondere Tag der Arbeit auf einen Samstag und so waren die Supermärkte freitags voll, weil man konnte ja nicht samstags einkaufen.
Am Samstag selbst ging es dann in den Grunewald. „Klingeling! Haubesuch beim Kapital“ war das Motto, unter dem zehntausend Menschen dem Problemkiez Grunewald zeigten, dass sie die armen reichen Leute in der wohlhabensten Gegend Berlins nicht vergessen hatten. Und während sich der Tross aus Drahteseln seinen Weg bahnte, der von der Polizei mit abgesperrten Kreuzungen vorgezeichnet war, saß man im Grunewald mit der Großfamilie auf dem Balkon der schmucken Stadtvilla und grinste den Menschen entgegen. Mein Mittelfinger grinste zurück.
Gerade schaue ich eine Dokumentation, auf die mich Anne Roth aufmerksam gemacht hat. Das passt zeitlich hervorragend, denn ein Blogpost in dieser Richtung schwebt mir seit Wochen im Kopf herum. In der Dokumentation geht es um Gig Worker, um Plattformkapitalismus, um digitale Tagelöhner. Um Menschen, die für Uber Menschen oder Essen ausliefern. Die bei MTurk für einen Stundenlohn von weniger als 2 Dollar Amazongeld arbeiten, das sie nur bei Amazon ausgeben können. Um Menschen ohne Krankenversicherung, ohne Betriebsrat. Eine der porträtierten Menschen sagt:
Uber und Lyft beschäftigen einige der intelligentesten Leute der Welt, Professoren und Programmierer. Aber die Fahrer sind ihnen egal.
Und das ist der Punkt, an dem ich den Film nach einem Drittel pausiere, mich voller Wut, aber auch Tatendrang an diesen, den fälligen Blogpost setze.
Im Anschluss an die Fahrradtour fand am Wochenende die Revolutionäre 1. Mai Demo statt, die der verlängerte, gewaltbereite Arm des Kapitals bereits nach kurzer Zeit brutal angriff. Auf dieser Demo sah ich ein Schild, auf dem stand:
„Die Server stehen still, wenn wir uns organisieren #TechWorkerSolidarity“
Ich arbeite als „TechWorker“, als Programmierer für Apps. Ich abstrahiere Probleme und baue mit meinem Werkzeug — und nichts anderes sind Programmiersprache und Computer — Lösungen. Dabei versuche ich gute Arbeit zu leisten, denn auch ich habe so etwas wie eine Handwerksehre. Ich möchte stolz auf meine Arbeit sein, sie soll auch handwerklich gut gemacht sein. Dieses Selbstverständnis als „Handwerker“ lässt interessante Schlüsse zu.
Denn im Endeffekt sind Programmierer*innen wie Handwerker*innen. Es gibt Zimmerleute, die wunderschöne Möbel bauen und solche, die die Möbelmaschinen am Fliessband überwachen. Es gibt „Software Engineers“, die Individualsoftware entwickeln, aber auch solche, die immer und immer wieder die gleiche Software installieren, die gleichen Fragen im Support beantworten. Wir lösen mit unseren Köpfen Probleme und schaffen mit unseren Händen Lösungen, wie Handwerker*innen eben auch.
Wir sind dabei nichts anderes als lohnabhängig Beschäftigte. Wir sind angestellt, wir bekommen Geld von unseren Arbeitgeber*innen, sind aber teurer zu kündigen. Wir sind ein Teil der Arbeiter*innenklasse, wenn auch bisweilen gut ausgebildet, unglaublich privilegiert und hoch bezahlt. Aber damit einher geht eben auch eine größere Verantwortung.
Und trotzdem sind noch erschreckend viele „TechWorker*innen“ nicht organisiert, nicht Teil einer Gewerkschaft. Das halte ich für falsch, ja sogar gefährlich, denn: Eine Gewerkschaft, ein Betriebsrat ist gelebte Solidarität unter Arbeiter*innen. Es gibt Hoffnung, es ändert sich gerade langsam. Yonatan Miller von der Berlin Tech Worker Coalition hat dem nd vor einem Monat ein Interview dazu gegeben. Bei N26 wollte die Bank die Betriebsratswahlen noch verhindern, ist damit aber krachend auf die Fresse geflogen. Bei Google rumort es ebenfalls. Und auch bei Gorillas, dem neuen Stern am Berliner Start-Up-Himmel, gibt es Arbeitskampf, von Menschen angestossen, die mit dem Fahrrad unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen Supermarkteinkäufe ausliefern. Und hier schliesst sich der Kreis:
Aber die Fahrer sind ihnen egal.
Die Fahrer*innen dürfen uns nicht egal sein, wir sind es ihnen schuldig. Wir bauen die Apps, mit denen die Supermarkteinkäufe bestellt werden. Die Apps, die Uber-Fahrer*innen durch die Städte schicken. Wir lassen die Server laufen, die die Bestellungen verarbeiten. Und dadurch sitzen wir an einem sehr, sehr langen Hebel. Weil eben auch wir Teil der Arbeiter*innenklasse sind, müssen wir diesen Hebel zu nutzen, zum Wohle der Kolleg*innen im Betrieb, der Arbeiter*innen, aller.
Lasst uns dafür sorgen, dass nicht nur wir gut bezahlt werden, sondern eben auch die Menschen, die bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad Lebensmittel ausliefern. Lasst uns dafür sorgen, dass nicht nur wir einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer Krankenversicherung haben, sondern auch Leute, die bei Uber Menschen von A nach B bringen. Lasst uns dafür sorgen, dass sich die Arbeitsbedingungen für Menschen in der Pflege dramatisch zum Besseren ändern. Betriebsräte und Gewerkschaften sind aktueller den je. Tretet der FAU bei, der IG Metall, ver.di oder den Wobblies. Lasst uns uns vernetzen, uns organisieren. Lassen wir nicht Menschen im Regen, sondern Server still stehen.
Denn eines Tages könnten wir im Regen stehen und werden froh sein, nicht alleine zu sein.