bullshit

wahlhelfer

vergangenen sonntag war in deutschland europawahl, das beschissene ergebnis dürfte hinlänglich bekannt sein: die gesellschaftliche linke säuft ab, die leute wählen rechts, es wird rechte politik gemacht wird und die leute haben bock auf rechte politik.

vor einigen monaten hatte ich mich als wahlhelfer beworben und vor einige wochen kam dann der brief, dass ich doch bitte ab 15 uhr im lokalen briefwahllokal wahlhelfen solle. ich lese mir einige dutzend seiten pdfs durch und führe mir über dreissig minuten video zu gemüte, weil man will ja schliesslich vorbereitet sein auf diese verantwortungsvolle aufgabe.

und dann spaziere ich sonntag mittag entspannt dahin, zum lokalen wahllokal. taschenkontrolle, einmal links, einmal rechts, treppe runter, treppe hoch und dann bin ich da. das briefwahllokal ist der innenraum vom velodrom. das ist schon ziemlich, ziemlich cool. beeindruckendes gebäude. bisher bin ich immer mit der sbahn vorbeigefahren, aber drin war ich noch nie, hat sich also schon mal gelohnt.

ich suche meinen tisch, alle da, kurze vorstellungsrunde, alle per du, weil das macht man hier so. dann wird das prozedere bis 18 uhr erklärt und ich ärgere mich einen kurzen moment, diese dutzenden seiten pdfs und die paarunddreissig minuten video hätte ich mir auch sparen können. aber man will ja schliesslich vorbereitet sein.

wir tragen uns ein, bekommen den schlüssel für die urne und dürfen dann erstmal ein paar hundert rote umschläge zählen. und dann ein paar hundert rote umschläge aufmachen, ein paar hundert grünen wahlschein checken, ein paar hundert weiße umschlag mit der stimme wandern wieder in die urne. gegen halb sechs sind wir fertig und ich gehe zur sbahn landsberger allee. ich habe hunger und so gut war ich dann offensichtlich doch nicht vorbereitet.

der bezirk dankt den anwesenden auf plakaten und heisst sie im #wählodrom willkommen. ich muss lachen. das ist schon ein ziemlich cooles gebäude, dieses wählodrom mit seiner radrennbahn ums wahllokal und dem begrünten dach.

wir füllen die zettel für das erfrischungsgeld aus. 80 euro. nach 18 uhr wird das weitere vorgehen für nach 18 uhr erklärt. mich erreichen erste nachrichten von freund*innen. deutschland ist ein mieses stück scheisse. verfickte afd. alles anzünden. die prognosen sind echt beschissen. ich möchte es nicht wissen, aber ich habe schon damit gerechnet.

nachdem noch ein paar weitere rote umschlage geliefert wurden und die weißen in die urne wanderten, machen wir die urne wieder auf, leeren sie auf den tisch, stapeln weiße umschläge, zählen weiße umschläge, öffnen weiße umschläge. meine erste stimme geht an bsw, meine letzte stimme wird an die linke gehen — ein schwacher trost. und so zählen wir.

manche parteien bekommen mehr, andere weniger, andere gar keine oder nur eine, zwei. zwei stunden lang öffnen wir weiße umschläge, entfalten die stimmzettel und stapeln sie. ich merke, wie sich ernüchterung in mir breit macht, aber auch enttäuschung gehört wohl zur demokratie. wir haben einige ungültige stimmzettel. wird alles sauber dokumentiert. ich hatte auf mehr gehofft. wahlbeobachter*innen schauen nicht vorbei, ein paar cops drehen eine runde.

die heimat verfrachten wir aus platzgründen kurzerhand auf den boden, sie wird nicht viele stimmen bekommen. in der halle wuseln wahlhelfer*innen geschäftig vor sich hin und nehmen ihre arbeit ernst. nachdem wir alle stimmen ausgezählt haben, summieren wir. geht nicht auf. also fangen wir nochmal an mit dem auszählen und tatsächlich: wir finden die fehlende stimme. sie geht weder an die heimat, noch an die anderen nazis.

das sei ja alles aufwendig, sagt jemand an meinem tisch. ja, aber das ist das, was uns von nordkorea unterscheidet, sagt jemand anderes an meinem tisch. wir stecken die ausgezählten stimmzettel in braune umschläge, beschriften und versiegeln sie, weil auf dem braunen umschlag mit den siegeln steht, dass man alle braunen umschläge versiegeln soll. zum schluss versiegle ich deshalb auch den braunen umschlag mit den siegeln. vielen dank, vielleicht bis zum nächsten mal, tschüß. ich gehe nach hause.

wie ruhig es hier doch ist, denke ich auf dem weg nach hause. ich setze mich vor den fernseher, leihe mir einen film und schlafe vor dem fernseher ein.